Norbert Schepers

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Gelangweilt in Hannover

Kommentar zur Eröffnung der EXPO 2000
von Norbert Schepers

"Eine Begegnung der Kulturen der Welt" hatte das Eröffnungsprogramm der EXPO 2000 in Hannover versprochen. Affirmative Technik-Utopien in hochästhetischer High-Tech-Verpackung erwarteten hingegen KritikerInnen der Weltausstellung. Doch geboten wurde am 1. Juni zuallererst Langeweile.

Eröffnung und "Weltfest" bestanden vor allem aus traditionellen Ritualen. Nach dem klassischen Scherenschnitt am roten Band stiegen bunte Luftballons rührend in die Luft. Zahlreiche Künstlertrupps in folkloristischer Verkleidung verbreiteten derweil professionell multikulturelles Flair: Das Stadtteilfest konnte beginnen.

Seine Steigerung erfuhr der Multikulti-Kitsch nur noch durch die zugespitzten Darbietung landesspezifischer Klischees in den meisten Länderpavillons: Touristikmesse pur. Aufdringlich auch die Präsentation der Bundesländer im deutschen Pavillon: Über den bekannten Industrie-Artefakten (z.B. VW-Käfer) schwirrten poppig verkleidete Bildschirme in konzentrischen Kreisen plärrend durch den Raum und nervten die BesucherInnen mit banalen Kurzfilmen. Wegweisend dagegen mutete der österreichische Pavillon an. Neben einer völlig unauffälligen Präsentation seiner Bundesländer besteht er vor allem aus einer riesigen Ruhezone.

Auf der Suche nach versprochenen Zukunftsvisionen reihten sich die meisten BesucherInnen in die gigantischen Warteschlangen vor den Themenpark-Hallen und einigen Konzern-Pavillons ein. Verblüffend die fortgesetzte Banalität der Darbietungen: Im "Planet of Visions" wird das ganze Spektrum menschlicher Utopien durch Figuren wie aus Pappmaché im Science-Fiction-Design der fünfziger Jahre angedeutet.

Spätestens im "Cyclebowl" des Dualen Systems, kreislaufmäßig zirkulierten die BesucherInnen in engen Gängen durch die Ebenen einer riesigen Kaffeetasse, ist die "Natur" völlig durch Technik synthetisiert worden. Erklärungen schienen hier mit zunehmender Strecke niemanden mehr zu interessieren: Mäßig interessierte Blicke glitten über bunte Oberflächen auf der Suche nach dem interessantesten High-Tech-Kitsch. Die Ödnis traditioneller Klischee-Produktion und Folklore draußen korrespondierte mit der Langeweile der immergleichen multimedialen Ikonografie drinnen.

Bei den linksradikalen Gegenaktivitäten rund um die Eröffnung fanden Zuspruch und Resonanz im Rahmen des Üblichen statt: Mensch ist schon froh, dass es einen "Widerstand" überhaupt gibt. An dem Maßstab gemessen, den die "ökoanarchistischen" Teile des bundesweiten Anti-Expo-Spektrums durch ihre voluntaristische Mobilisierung ("London - Seattle - Hannover") für ein Blockadekonzept dezentraler Kleingruppen errichtet hatten - völlig jenseits der Situation der BRD-Linken und deren Möglichkeiten in Hannover - , bleibt nur das schon vorher absehbare Scheitern dieses Aktionismus festzustellen.

Die restlichen Unentwegten, die sich nicht vom Kommen hatten abschrecken lassen, ertrugen das Standard-Programm linker Aktionstage denn auch mit Fassung: orientierungsloses Herumlaufen, Katz- und Mausspiel mit Sicherheitskräften, der Polizei bei den Festnahmen zusehen. Viele wussten ohnehin nicht, was sie zum Blockadekonzept hätten beitragen können. Eine Abseilaktion auf der Autobahn, Spontandemos und Schilderhochhalten waren dann schon die Widerstands-Highlights des Tages.

Nachmittags gab es noch etwas Spaß mit einer ausgelassenen Kissenschlacht, für interessierte Resonanz sorgte auch das Aktionsgrüppchen, welches den ganzen Tag unbehelligt ein knallrotes Sitzmöbel durch die Stadt trug. Motto: "Solange man ein Sofa dabei hat, isses nett." Abends war der Spaß dann vorbei: Die Polizei hatte die Linken genug in der Stadt spielen lassen, zum Schluss gab es nun Polizeikessel - noch ein paar verhaftete Chaoten zum Vorzeigen werden schließlich immer gebraucht. Auch hier: Langeweile in Hannover.


Zuerst veröffentlicht in:
Wochenzeitung Jungle World, Nr. 24/2000

 

 

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